Was blüht uns in diesem Jahr? Achim Kniefel und Michael Fink schauen voraus …
Januar
Die Welt interessiert sich immer mehr für Kinder und deren Entwicklung. Eine von Samsung vorgestellte App namens »With Your Eyes Only« ermöglicht es Eltern jetzt, die Erlebnisse ihrer Kinder in Kita und Schule jederzeit mitzuverfolgen. Technische Voraussetzung ist lediglich die Implantation einer Mikrokamera nahe der Retina des geliebten Sprösslings, die alles, was er sieht und erlebt, in Originalperspektive auf das elterliche Smartphon überträgt. »Die Welt mit den Augen meines Kindes sehen können«, seufzt Sabine, Mutter aus Leidenschaft, »wie gut ist das denn!« Zuerst werde sie das Ding an Nesthäkchen Elias (4) austesten, um bei Gefallen auch dessen älteren Bruder Jonas (13) damit auszustatten. »Der ist gerade eh so technikinteressiert«, weiß Sabine.
Februar
Die Welt wird immer älter. Klar, dass es der Bildungswirtschaft deshalb schlecht geht, denn immer weniger Kinder werden geboren. »Sehen wir es doch positiv«, sagt der Ober-Bildungswirtschaftsguru. »Immer mehr Ex-Kinder werden zu Rentnern, wenn auch über eine bildungswirtschaftlich unerhebliche Zwischenstufe. Erfreulich ist aber, dass gegen Ende des Lebens wieder der gleiche Betreuungsbedarf wie am Anfang entsteht. Wir müssen nur auf diesen Markt umstellen.«
»Alles neu schreiben?« fragen Autoren ängstlich, aber die Verlage beruhigen: Umschreiben ist leichter. Gesagt, getan: Schon zirkulieren Papers, wie leicht man erfolgreiche Buchtitel für die neue Zielgruppe lektorieren kann. »Aus schon mach noch«, lautet eine der Regeln, »und aus Früh- wird Spät-.« Bald zeigen sich die ersten Früchte: »1, 2, 3 – das kannst du noch« heißt ein erfreulich farbarm bebildertes Arbeitsheft mit Ausmalblättern für die Nachschularbeit. Das Fingerspiel-Buch »10 faltige Gichtfinger« mit Kamelhaar-Einband in leider schwer leserlicher 76-Punkt-Schrift hätte ich gern für Sie, liebe Leserschaft, rezensiert. Aber meine dicke Brille ist verschwunden. Nur verlegt oder etwa geklaut?
März
Jedes Bundesland hat zwar ein eigenes Bildungssystem, trotzdem sollen die Kinder in allen Landesteilen gleich gute Chancen haben. Dieses bisher als unlösbar geltende Problem wird im März vom hessischen Kultusminister behoben: »Immer gab es einzelne Kinder, die aus dem jeweiligen Bildungssystem des Landes heraus fielen. Statt ihnen ums Verrecken gerecht werden zu wollen, sollte man sie in das individuell für sie passende Bundesland umsiedeln.« Gesagt, getan. Schon rollen die ersten Busse voller fröhlich lärmender Kinder durchs Land, und die ersten bayerischen Gastfamilien heißen einfache, aber ehrliche Bremer Hauptschüler willkommen. Nachwuchs aus München wandert gen Berlin: »Für a bayerische Schuln san mir oa’fach zu oarm und zu sägzy.«
April
Die Welt wird immer ko-konstruktiver: Nur zwei Monate nach Samsungs »With Your Eyes Only« legt Apple mit »iChild« nach. Bei dieser erweiterten App-Version wird ein Mini-Lautsprecher nahe dem Trommelfell des geliebten Sprösslings implantiert. Verfolgen die Eltern seine Erlebnisse mit, können sie ihm wertvolle Unterstützung zukommen lassen – in allen außerfamiliären Lebenslagen. Mutter Berger ruft »Hast du auch deine Mütze auf, Elias?« durchs Mikro, und schon setzt der Kleine im Kita-Garten errötend sein Käppchen auf.
Besonders die Möglichkeit, dem Kind in der Schule bei schwierigen Fragen beizustehen, erfüllt Eltern mit Genugtuung. »Sie entschuldigen, Chef, dass ich das Smartphon während der Konferenz anlasse«, sagt Vater Berger zu seinem Boss, »aber wir haben heute Rechnen mit Zehnerübergang, und gleich geht’s los. Da, Achtung! 7 plus 4? Sag 11, Elias! Finger hoch! Yeah, geschafft! I love you!«
Mai
Die Welt wird immer pfiffiger. »Das ist die Idee des Jahres!« ereifert sich die Bildungsministerin beim Büro-Tee. »Da werden meine sonst so überheblichen Referenten aber Augen machen!« Schnell skizziert sie auf ihrem College-Block die erste Grundidee für ein Instrument zur Unterstützung von Familien in irgendeiner Lage. Aufgeregt ruft sie ihren Mann an, um ihm davon zu berichten. »Schnucki«, gibt der zu bedenken, »nachher wirst du eh nur von deinen Leuten ausgelacht. Und wenn die Idee doch gut ist, kommt bestimmt diese Ursula und sagt, sie sei von ihr.« Resigniert zerknüllt die Ministerin den Zettel und beschließt, heute endlich einmal früher Feierabend zu machen.
Juni
Die Welt wird immer unehrlicher. Leider weiten sich die Plagiatsaffären dramatisch aus – auch auf bisher nicht im Fokus stehende Personengruppen. »Unsere Lydia hatte immer versichert, Alleinurheberin der zum St.-Martins-Umzug mitgeführten Laterne zu sein«, greint ein Vater ins Reportermikrofon. »Nun müssen wir anhand eines bastellogischen Gutachtens erfahren, dass über 80 Prozent der Bastelschritte offenbar nicht von unserer Tochter (3) stammen, sondern von fremder Hand hergestellt wurden. Von der Erzieherin nämlich.« Ein Rücktritt der Dreijährigen von ihrem Posten als Muttis und Vatis Augenstern scheint immer wahrscheinlicher.
Den vollständigen Beitrag können Sie in unserer Ausgabe Betrifft KINDER 01-02/13 lesen.